„Gehorchen ist keine Rechtfertigung für Handeln.“

(v. Hannah Arendt 1906-1975)

Hannah Arendt war eine unerschrockene Denkerin und furchtlose Kämpferin für die Freiheit. Blinder Gehorsam und Unterwerfung waren ihr, der jüdischen Philosophin, die Nazi- Deutschland verlassen musste, ein Graus. „Niemand hat das Recht, sein Gehorchen als Vorwand für die Rechtfertigung seines Handelns zu benutzen. Gehorchen ist keine Rechtfertigung für Handeln“, erklärte sie entschieden. Die Freiheit, davon war sie überzeugt, muss immer wieder neu errungen und der Impuls zum Mitläufertum immer wieder neu abgewehrt werden.

Grundvoraussetzung der Freiheit ist das zu tun, was man will und nicht, was andere wollen. Hierfür bedarf es einer gehörigen Portion Eigensinn. Genau der aber wurde vielen Menschen bereits früh im Leben ausgetrieben. Wurden doch die meisten von uns bereits als Kind mit der vorwurfsvollen Frage traktiert: „Was sollen nur die Leute denken?“ Und gerade dann, wenn wir das getan haben, was sich richtig und stimmig anfühlte, zischte uns garantiert jemand zu: „Musst du denn immer aus der Reihe tanzen?“

Eine brave Tochter sollte wir doch sein, ein gehorsamer Sohn. Nicht nicht auffallen und so sein, wie fügsame Kinder nun mal sein sollten. Schon damals haben wir gespürt: Nichts macht uns kleiner als der Zwang, so zu sein, wie die anderen uns haben wollen. Und nichts raubt uns mehr Spontanität und Selbstbestimmung als der furchtsame Gedanke daran, was andere über uns sagen könnten, wenn wir ihren Erwartungen nicht entsprechen. Im Mittelalter stellte man Menschen öffentlich an den Pranger, wenn sie nicht gehorchten. Heute haben wir weniger drastische, doch ebenso effektive Mittel, um einander zum Schweigen zu bringen. Gruppenzwang ist eines davon.

Er zeigt sich im hemmungslosen Klatsch über diejenigen, die aus dem Rahmen fallen, und endet nicht selten in Ausgrenzung und Mobbing. Unser Selbstbild entscheidet maßgeblich darüber, wie eigenverantwortlich wir unser Leben gestalten. Meist sind es ja gar nicht so sehr die äußeren Umstände, die uns begrenzen. Wir selbst tun es, indem wir uns kleiner machen als wir sind, indem wir uns anpassen, anstatt aufmüpfig zu sein, und indem wir unser eigenes Licht unter den Scheffel der anderen .

„Kein Mensch hat das Recht, Verantwortung an andere abzugeben, jeder Mensch kann sich fragen, was er selbst zu seiner Geschichte machen möchte und was nicht“, mahnt Hannah Arendt. Denn es nützt weder uns noch der Welt, wenn wir uns klein machen. Vielmehr sollten wir unsere Größe zeigen, damit wir alle größer werden. Uns von der Angst befreien, damit alle angstfreier leben können. Uns selbst ermächtigen, um andere zu ermächtigen. Es geht darum, nicht zu kuschen und uns anzupassen, sondern widerständig und eigensinnig zu sein.“

Dazu gehört, dass man nicht Wir sagt, sondern dass man ICH sagt, dass man selbst urteilt.“ Mit ihrem Werk und Ihrem Leben ruft Hannah Arendt dazu auf, sich aus dem selbst geschnürten Korsett des Gehorsams zu befreien, den Maulkorb abzustreifen, den wir uns in der Kindheit haben anlegen lassen und nicht mehr länger nach der Pfeife der anderen zu tanzen. Die Worte des Nachkriegsdichters Günther Eich mögen uns dabei ermutigen: „Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!“

Hannah Arendt – Deutsch-jüdische Philosophin und politische Theoretikerin; ihre These von der „Banalität des Bösen“ wird bis heute kontrovers und heftig diskutiert. (1906-1975)